Warum die 7-38-55 Regel falsch ist!
Viele Menschen verspüren Unsicherheiten mit der eigenen Wirkung. Wir haben uns sicherlich alle schon mal die Frage gestellt, wie wir bei unseren Gesprächspartnerinnen und -partnern ankommen. Und wir finden keine wirklich befriedigende Antwort. Denn zum einen klingt unsere Stimme für uns selbst anders, als für unsere Zuhörer*innen, was ich Ihnen in einem älteren Artikel erklärt habe (Warum die eigene Stimme in uns selbst anders klingt), und zum anderen können wir während des Sprechens natürlich nur Teile unseres Körperausdrucks selbst sehen.
Das hat zur Folge, dass viele Menschen gerade den eigenen Ausdruck durch Stimme und Körper nicht einschätzen können und sich deshalb unsicher fühlen. Sie haben die Befürchtung, dass ihre Inhalte beim Gegenüber nicht ankommen.
Wie erzeugen wir Wirkung?
Die Sprechwirkungsforschung untersucht, wie Sprecherinnen und Sprecher durch Sprache, Stimme und Körper Wirkung erzielen und die Kommunikation beeinflussen. Diese drei Ebenen wirken untrennbar zusammen. Doch werden die Unsicherheiten mit der eigenen Wirkung durch allerhand Mythen und Falschaussagen in der Kommunikationspsychologie unterstützt. Eine der wohl bekanntesten Aussagen ist, dass 55% der eigenen Wirkung auf den Körperausdruck, 38% auf die Stimme und nur 7% auf die Sprache, also den Inhalt, zurückzuführen sei. Es kommt also gar nicht darauf an WAS du sagst, sondern nur WIE du es sagst.
In diesem Artikel erkläre ich Ihnen, weshalb diese Aussage schlichtweg falsch ist und worauf es bei der Entwicklung einer souveränen Wirkung ankommt.
Die Ironie der Geschichte ist, dass der Autor dieser Zahlen, Prof. Albert Mehrabian, missverstanden und falsch zitiert wurde. Denn Mehrabian hat diese Zahlen nie allgemeingültig auf Kommunikation übertragen wollen. Mehrabian hat über Jahre hinweg selbst versucht, diese (von anderen) als Regel postulierten Zahlen wieder in den richtigen Kontext zu stellen. So sagt er selbst (BBC-Interview mit Albert Mehrabian ab Minute 23:10), dass jedem mit gesundem Menschenverstand klar sein sollte, dass es sich hierbei nicht um die korrekte Aussage handelt.
Leider wurden diese Zahlen häufig verwendet, da sie plakativ und plausibel sind und deshalb die Wichtigkeit eines Trainings zu unterstreichen. Sie wurden immer und immer wieder zitiert und auf menschliche Kommunikation als Ganzes angewendet, was nicht zulässig ist.
Doch was hat Albert Mehrabian, emeritierter Professor für Psychologie an der University of California in Los Angeles, eigentlich genau untersucht? Und wie sind diese Untersuchungen zu sehen?
Die Untersuchungen beschäftigen sich mit Kongruenz, nicht mit Wirkung!
Mehrabian hat diese Untersuchungen in den 1960er Jahren durchgeführt. Dabei schaut sich Mehrabian zusammen mit Kollegen inkongruente Botschaften an, d.h. Botschaften bei denen auf verschiedenen Ausdrucksebenen unterschiedliche Aussagen transportiert werden. Ihn interessiert wie Hörer*innen diese Inkongruenzen wahrnehmen und wie auf Basis der verfügbaren Information auf die Emotion bzw. Haltung des Sprechers bzw. der Sprecherin geschlossen wird.
Das heißt es war nicht sein Ziel, auf Sprecherwirkung oder die Glaubwürdigkeit des Sprechers im Allgemeinen zu schließen.
Es ist an dieser Stelle auch wichtig zu betonen, dass diese Untersuchungen auf nur jeweils mit einem Wort als Stimulus stattgefunden haben. Eine Untersuchung, die ein einziges Wort als Basis hat, kann niemals auf Kommunikation als Ganzes übertragen werden. Im Speziellen sind dabei nun zwei Studien aus dem Jahr 1967 wichtig.
Studie 1: Inkongruenter Ausdruck in Wort und Stimme
Die erste Studie schaut sich Wörter und den Stimmklang an. Dabei werden positive, neutrale und negative Wörter mit positiver, neutraler und negativer Tonalität in der Stimme kombiniert. Das heißt die positiven Wörter (honey, dear, thanks), neutralen Wörter (maybe, really, oh) und negativen Wörter (don’t, brute, terrible) werden in allen Möglichkeiten mit positivem, neutralem und negativer Tonalität kombiniert. Diese Kombinationen wurden dann Hörern vorgespielt, die entscheiden sollten, welche Emotion oder Haltung des Sprechers dahinter vermutet wird. Das Experiment zeigte, dass in diesem Fall dem Stimmklang mehr Bedeutung zugesprochen wird als dem Wort an sich.
Studie 2: Mimischer und stimmlicher Ausdruck bei neutralem Wort
In einer zweiten Studie wird nun der mimische Ausdruck einbezogen. Den Probanden wurde eine weibliche Stimme vorgespielt, die das Wort „maybe“ in den drei stimmlichen Ausrucksvarianten positiv, neutral und negativ vorspricht. Dann wurden den Probanden Fotografien von weiblichen Gesichtern mit positivem, neutralem und negativem Ausdruck gezeigt. Die Probanden sollten dann den Ausdruck der Audioaufnahmen, den Ausdruck der Fotografien und von beidem in Kombination beurteilen. Die Fotos wurden mit einem Verhältnis von 3:2 genauer beurteilt. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass Fotografien von Gesichtern mit positivem, neutralem und negativem Ausdruck verwendet wurden. Körperausdruck ist immer bewegt und umfasst wesentlich mehr als den mimischen Ausdruck, weshalb auch dies nicht auf Kommunikation als Ganzes übertragbar ist.
Was kann man nun aus diesen Untersuchungen ziehen?
Aus diesen beiden Studien ergibt sich rein rechnerisch diese viel zitierte Gewichtung. Doch sollte die Beschreibung der beiden Untersuchungen gezeigt haben, dass die Aussage, dass 55% der eigenen Wirkung auf den Körperausdruck, 38% auf die Stimme und nur 7% auf die Sprache, also den Inhalt, zurückzuführen sei, vollkommen falsch und vor allem auch nicht intendiert war. Zudem sollte man sich bewusst machen, dass die drei Kategorien positiv, neutral und negativ nicht passend und ausreichend sind, um kommunikative Interaktion und ihre Wirkung zu beschreiben.
Was ist 100% Wirkung?
Wenn doch noch etwas in Ihnen sagen sollte, dass da schon was Wahres dran sein wird, dann ist es vielleicht interessant, sich folgende Frage zu stellen: Was ist 100% Wirkung? Sprache, Stimme und Körper erzeugen zusammen Wirkung bei unseren Zuhörer:innen, doch können wir diese nicht numerisch durch Zahlen und feste Zahlenverhältnisse ausdrücken. Es gibt keine Formel, die uns zeigt, wie wir überzeugender, glaubwürdiger oder wirkungsvoller werden. Aber diese Zahlen adressieren genau diesen Wunsch.
Die Untersuchungen von Mehrabian können die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass die Ausdrucksebenen kongruent oder inkongruent zusammenwirken können. Das Gegenüber ist also wahrscheinlich sehr sensibel dafür, dass eventuell nicht zueinander passende Botschaften gesendet werden. Und das wird von unseren Zuhörer:innen wahrgenommen und kann zu Irritationen in der Kommunikation führen.
Sprache, Stimme und Körper wirken zusammen!
Natürlich haben der stimmliche und der körpersprachliche Ausdruck einen wichtigen Anteil an der Gesamtwirkung. Das ist nicht zu bestreiten und natürlich können wir die eigene Wirkung durch ein Training verbessern. Doch geht es vielmehr um das stimmige Zusammenwirken, das Ihre Inhalte, Botschaften, Gefühle und Intentionen vermittelt.
Finden Sie Sicherheit in Ihrer Wirkung und unterstreichen Sie Ihre Inhalte!
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gute Ideen und Inhalte brauchen, um unsere Gesellschaft in allen Bereichen voranzubringen. Deshalb dürfen wir die Inhalte nicht zum Vasallen der Verpackung werden lassen. Im VOCCO-Ebook „Auffallend stimmig!“ Erhalten Sie tiefergehende Informationen zur Wirkung durch Sprache, Stimme und Körper und wie Sie das nachhaltig trainieren können.
Zusammenfassung: Eine bekannte Aussage in der Kommunikationspsychologie ist, dass 55% der eigenen Wirkung auf den Körperausdruck, 38% auf die Stimme und nur 7% auf die Sprache, also den Inhalt, zurückzuführen sei. Diese Zahlen, die auf den Psychologie-Professor Albert Mehrabian zurückgehen, wurden immer wieder falsch interpretiert und zitiert. Wirkung kann nicht nummerisch ausgedrückt werden und entsteht nur im kongruenten Zusammenwirken von Sprache, Stimme und Körper.
Literaturangaben zu den Studien:
Mehrabian, A., & Wiener, M. (1967). Decoding of inconsistent communications. Journal of Personality and Social Psychology, 6, 109-114.
Mehrabian, A., & Ferris, S.R. (1967). Inference of attitudes from nonverbal communication in two channels. Journal of Consulting Psychology, 31, 248-252.
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